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Setzt Österreich Alien-Technologie für die Energiewende ein?

Vergleicht man den Stand der Standardisierung bei der Marktkommunikation in Deutschland und Österreich, wird man schnell demütig ob des Vorsprungs beim Roll-out, der sich über die letzten Jahre in Österreich ergeben hat.

Ich nahm letzte Woche an dem Netzservice Forum 2024 in Wien teil und es war wieder einmal für einen deutschen Besucher wie die Entführung auf ein Alien-Raumschiff:

  • Während wir uns in Deutschland – dem spirituellen Zentrum der Energiewende – mit dem Smart Meter Rollout beschäftigen und dabei noch im einprozentigen Bereich der Durchdringung liegen, liegt Österreich nahe bei 100%. Dies gilt übrigens auch fast alle anderen europäischen Mitgliedsstaaten. „Felix Austria“ heißt hier: Keine Smart Meter Gateways, kein Simon und keine Silke. Wie auch anderswo in Europa wird hier mit dem Smart Meter über die P1-Schnittstelle kommuniziert. In Deutschland dürfen wir hingegen hoffen, dass wir bis 2032 den Smart Meter-Rollout vollzogen haben werden – so der Plan.
  • Zum Thema „Energiegemeinschaften“: In Österreich werden seit einiger Zeit Probleme höherer Ordnung diskutiert: Es gibt keinen Mieterstrom wie in Deutschland (viel zu kompliziert, da der Anbieter hier innerhalb der Hausgemeinschaft Lieferantenstatus hat und auch den Reststrom zu liefern hat). Nein, bereits seit 2017 gibt es in Österreich „gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen“, bei denen jeder Teilnehmer im Haus den Reststrom immer von seinem Lieferanten bezieht, sodass dadurch die Versorgung innerhalb der Gemeinschaft sehr niederschwellig wird. Erst im Frühjahr 2024 hat auch der deutsche Gesetzgeber im Solarpaket 1 diesen Ansatz durch Kopieren gewürdigt – jetzt fehlen halt nur noch die Smart Meter für die Abrechnung…
  • Seit 2021 gibt es in Österreich auch eine gesetzliche Grundlage für „echte“ Energiegemeinschaften (also netzübergreifend) auf Basis des österreichischen ElWOG. Dies ist übrigens die rechtzeitige Umsetzung des Clean Energy Package der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2019 – die in Deutschland bisher verschlafen bzw. ignoriert wird. Die Folge in Österreich: Seit 2021 boomen Energiegemeinschaften, allein in Oberösterreich partizipieren heute über 15.000 Haushalte. Die Anzahl der Energiegemeinschaften ist österreichweit bereits auf über 1.500 mit bis zu über 500 Teilnehmern gestiegen, weiterhin stark wachsend. Auf dieser Basis entstehen nun neue Möglichkeiten und Herausforderungen: Warum sollte ein Haushalt nicht bei mehreren Energiegemeinschaften teilnehmen? In wird eine sog. „Mehrfachteilnahme“ an bis zu 5 Energiegemeinschaften diskutiert. Wie soll die Verrechnung der Liefermengen über verschiedene Verteilnetzgebiete hinweg erfolgen? Wie kann man die Datenkommunikation zwischen VNBs, Lieferanten und den Koordinatoren von Energiegemeinschaften standardisieren und automatisieren? Dies sind Themen, die in Deutschland wohl erst zehn Jahre später diskutiert werden.
  • „Customer Consent Management“ (CCM): Wenn ein Dienstleister (in Deutschland “ESA” genannt) personenbezogene Daten eines österreichischen Energieverbrauchers benötigt (z.B., weil er Koordinator einer Energiegemeinschaft ist), dann gibt es in Österreich einen automatisierten Prozess auf Basis des seit 12 Jahren bestehenden, vollständig automatisierten Standards „EDA“ für die Marktkommunikation. So entstehen neue Geschäftsmodelle und neue Märkte. Auch in Deutschland gibt es eine Form von CCM, die aber kaum „digitalisiert“ ist: Ein Messstellenbetreiber stellt online ein PDF-Formular zur Verfügung, das der Endkunde herunterladen, ausdrucken, ausfüllen und einscannen kann. Dann verschickt er es per Post oder E-Mail an den Energiedienstleister. Dieser trägt anschließend seine Daten ein – handschriftlich oder vielleicht auch mit der Schreibmaschine. Dann wird das Dokument anschließend wieder gescannt und an den Messstellenbetreiber zurückgeschickt. Dort muss nur noch jemand das Ganze in das System des MSB eintippen, um die Daten für den ESA freizuschalten. Während also in Österreichisch Alien-Technologie und Alien-Regulierung die Datenfreigabe binnen Minuten ermöglicht, dauert es in Deutschland eben eher Wochen.
  • Schließlich tut sich die deutsche Marktkommunikation schwer damit, den Lieferantenwechselprozess auf eine maximale Prozesslaufzeit von 24 Stunden zu reduzieren. Dass überhaupt 24 Stunden als Zielgröße angepeilt wird, kann als Beleg dafür gelten, dass immer noch manuelle Eingriffe notwendig sind. Und wie lange dauert es mit österreichischer Alien-Technologie? 30 Sekunden! Über die standardisierte Datenaustauschinfrastruktur EDA. Warum? Weil eine gut gemachte Standardisierung zu maximaler Interoperabilität führt, damit zu vollständiger Automatisierung (30 Sekunden schon seit 2013) und schließlich zu Kosten- sowie Risikoreduktion für alle.

Der in Österreich-Ungarn geborene Ökonom Joseph Schumpeter wäre begeistert: Diesmal geht es nicht um die schöpferische Zerstörung, sondern um die Freisetzung der Innovationskraft von Unternehmern und Kreativen durch einen geeigneten regulatorischen Rahmen. Während sich der Regulator in Deutschland zusammen mit BSI und BDEW als Produktdesigner versucht, beflügelt eine Schumpeter‘sche Regulierung in Österreich die Marktkräfte. Und diese haben mit EDA zu einer Infrastruktur geführt, die im Gegensatz zu Deutschland eine weitreichende Standardisierung, Interoperabilität, Automatisierung und damit Kostenreduktion über diverse Prozesse der Marktkommunikation hinweg ermöglicht hat. Wenn irgendwann in den 30er Jahren die Durchdringung mit Smart Metern in Deutschland bei 50% liegt, haben alle österreichischen Anbieter bereits eine zehnjährige Lernkurve hinter sich und freuen sich auf den Rollout ihrer Software Richtung Norden.

Also doch keine Alien-Technologie in Österreich, nur handwerkliche gute Standardisierungsarbeit!